L I V I N G  I N   T H E   P A S T   S T A T T   F A S Z I N A T I O N    F U S S B A L L  ?

Wie man junge Zuschauer langweilt.

 

Wie nicht anders zu erwarten, war die Fußball-EM 2012 für ARD und ZDF ein echter Quotenbringer, auch bei den jüngeren Zuschauern.Da hat man sie endlich mal am Wickel, die sogenannten ‚werberelevanten Zielgruppen‘ (U-50). Was für eine gute Chance, in den jungen Zielgruppen auch als Sender mal so richtig zu punkten.

 

Aber diesen Elfmeter haben ARD und ZDF gründlich vergeigt.

 

 


D I E   M E D I  A L E N   S P I E L F E L D E R :

Z W I S C H E N    F E R N S E H G A R T E N   U N D   P R O V I N Z - S T A M M T I S C H

 

Medial und vor allem im Netz ist schon viel gelästert worden über die lonely-hearts-Club-Rentner-Versammlung am Strand von Usedom oder über die unsägliche Selbstgefälligkeit des Gastgebers von „Waldi‘s EM-Club“ (schon der Name ist eine Zumutung) mit seiner selbsternannten ‚Flügelzange‘ Matze Knoop. Nahtlos knüpften beide Sender mit diesen Szenarien und Locations an das an, wofür ihre Sender aus der Perspektive junger Zuschauer stehen: seichteste Unterhaltung a la ZDF-Fernsehgarten oder bierselige Provinzialität a la Florian Silbereisen oder Hansi Hinterseer. Selbst Live-Acts wie der der ESC-Siegerin Loreen oder die social-media-Recherchen einer hübschen und emsigen Praktikantin wirkten in diesem betulichen Urlaubs-Umfeld eher bemüht und deplatziert als überzeugend und lebendig. Und auch die Schnellreimer von Blumentopf passten nicht recht ins betagt-betuliche Waldi-Konzept. 

 

Das Ärgerliche: diese Szenarien passen in keinster Weise zu der psychologischen Verfassung, in der sich ein einigermaßen leidenschaftlicher Fußball-Fan vor, während und nach einem Spiel befindet. Kann man von seinem Sender nicht erwarten, dass er die Seelenlage der Zuschauer kennt und sie entsprechend bedient? Dass etwas wie Vorfreude wirklich spürbar und erlebbar wird? Dass ihm der Sender dabei hilft, das Spiel und seine ganze Aufregung zu ‚verarbeiten‘?

 

Die ARD versuchte es auch auf die sachlich-nüchterne Tour. Beckmann bzw. Opdenhövel und Mehmed Scholl standen da, wo sie immer stehen: in einem drögen Studio, zwar physisch ganz nahe dran am Geschehen - aber psychologisch ganz weit weg vom Geschehen und von jeder Fußball-Atmosphäre. Lebendig wurde es eigentlich nur dann, wenn sich ein Dritter dazugesellte. Drei sind manchmal eben nicht einer zuviel, aber zwei sind manchmal einer zu wenig (gilt übrigens auch für Kahn/Müller-Hohenstein). 

 

Auch den Vorteil der ÖRs, in der Halbzeit eine weitgehend werbefreie Zone zu sein, konnten die beiden Sender nicht nutzen. Weil man ja in der Halbzeitpause in epischer Breite Tagesschau oder heute ausstrahlen muss statt vielleicht zu zeigen, wer sich gerade warmläuft oder Spielsituationen mit dem entsprechenden technischen Equipment zu analysieren. Das alles zeugt nicht von wirklicher Begeisterungsfähigkeit und ‚Mit-Leid‘ mit dem Zuschauer (und beruhigend wirken die Nachrichten angesichts der aktuellen Welt- und Euro-Lage auch nicht).

 

 


A K T U E L L E    E X P E R T I S E    O D E R   R E T R O S P E K T I V E?

 

Das eigentliche Debakel waren aber nicht die Locations, sondern die Experten-Gespräche und Experten-Runden im Umfeld der Spiele.

 

An Fußball-Experten gab es wahrlich keinen Mangel: Ex-Weltmeister, Ex-Europameister, Ex-Profis, Ex-Trainer, Ex-Journalisten und andere Ex-Fußball-Experten gaben sich die Klinke bzw. das Mikro in die Hand. Gut und interessant, soweit die Moderatoren die richtigen Fragen stellten (was selten genug der Fall war). Lähmend und nervend, wenn statt der brisanten Aktualität die Vergangenheit der Experten in den Fokus rückte.

 

Diese Rückwärtstendenz war wenig ausgeprägt beim ARD-Haupt-Experten Mehmed Scholl, der zudem auch noch das aktuelle ‚heiße Eisen‘ Mario Gomez angepackt und damit eine angeregte Debatte ausgelöst hat. Leider deutlich stärker war die Retro-Tendenz bei Oliver Kahn, der mit määääkeliger Stimme und oft griesgrämigem Gesichtsausdruck das Fehlen männlicher Eigenschaften bei der aktuellen Nationalmannschaft beklagte und ausführlich beschrieb, wie er und seine Mannschaft früher ihren Mann gestanden haben. Die 'fundierte' Spiel-Analyse bestand meistens in einer knappen Zusammenfassung dessen, was ohnehin jeder gesehen hatte. Dafür fand sich aber immer eine Gelegenheit, die eigene ruhmreiche Vergangenheit in den Blickpunkt zu rücken.

So defensiv und rückwärtsgewandt lief das Experten-Spiel nicht nur bei Oli, sondern auch bei vielen anderen ‚EX‘-Perten.

 

 


F A L S C H E   A U F S T E L L U N G ?  F A L S C H E   T A K T I K ?

 

Psychologisch ist diese Rückblicks-Tendenz verständlich: Leistungsträger mit einer großen Vergangenheit erzählen natürlich von sich aus von dieser Vergangenheit und werden von den Moderatoren auch immer wieder darauf angesprochen. Schön und gut, aber es trifft nicht das, was der Zuschauer im Umfeld einer aktuellen Berichterstattung haben will und sucht.

 

Dass es durchaus auch anders geht hat das Trio  KLOPP - KERNER - MÜLLER bei der WM 2006 gezeigt.

Hier war das ZDF in jeder Hinsicht gut aufgestellt: ein manchmal etwas überdrehter, aber immer lebendiger Moderator, ein Trainer mit ebenso großer Leidenschaft wie Fußball-analytischem Sachverstand und ein eloquenter Schiedsrichter, der immer in der Lage war, die Aufreger des Spiels ‚regelgerecht‘ zu analysieren. Da hat das Zuschauen und Zuhören Spaß gemacht - vor, während und nach dem Spiel. Weil diese drei immer das aktuelle Geschehen im Blick hatten und dem Zuschauer genau das geliefert haben, was er zu diesem Zeitpunkt braucht: Experten aus der Gegenwart für die Gegenwart.

 

Dass die drei sich nicht auf eine entlegene Insel (wie Usedom) zurückgezogen oder aus einem öden Studio berichtet haben (wie Beckmann/Scholl), sondern mit ihren Live-Analysen ‚mitten im Leben‘ waren, spielte für den positiven Gesamteindruck ganz sicher auch eine wichtige Rolle.

 

Die richtige Aufstellung mit der richtigen Taktik auf dem richtigen Spielfeld.

Alles das stimmte nicht bei der EM 2012.

 

 


F U R I O S E S   F I N A L E :   K A F F E E K R Ä N Z C H E N   U M   M I T T E R N A C H T.

 

Zurück zur EM 2012. Den krönenden Abschluss der Retrospektive gab es am Finaltag bei Markus Lanz und seinen überwiegend betagten Gästen. Das furiose Endspiel der Spanier lag erst wenige Stunden zurück, spielte aber für diese Talkshow mit Fußball-Experten praktisch keine Rolle. Stattdessen gab es eine unerträgliche Aneinanderreihung von Plattitüden, Floskeln und Beschwörungen der ‚guten alten Zeit‘, als Kerle noch Kerle waren und nachts aus Trainingslagern ausbüxten. 1000 Mal gehört, 1000 Mal ist nix passiert.

 

Immer wieder angetrieben von rückwärts gewandten Fragen des Moderators liefen die Uralt-Reporter Rubenbauer (ARD) und Töpperwien (ZDF) zur Hochform auf und erklärten uns echauffiert die Vorzüge ihrer längst vergangenen Fußballwelt. Man mag sich ja über das eine oder andere Anekdötchen von Hans-Peter Briegel oder Bodo Ilgner zu WMs/EMs aus den 80er und 90er Jahren amüsiert haben: insgesamt war diese Sendung aber vor allem dazu angetan, sich über das Ende der EM und derartiger ‚specials‘ zu freuen.

 

Mit einem letzten Blick auf die melancholisch stimmende dunkle Ostsee kann man sich den vielen Experten nur anschließen: jaja, früher mal war alles besser. Nicht unbedingt der Fußball, aber in jedem Fall die Berichterstattung bei Fußball-Großereignissen.

 


K U R Z E S   F A Z I T 

 

Expertise und Erfahrung sind wichtige Assets bei der medialen Berichterstattung zu Fußball-Großereignissen. Aber selbstzufriedene Nostalgiker, deren Perspektive weniger auf das Hier und Jetzt als auf die Vergangenheit gerichtet ist, verderben dem Zuschauer – und nicht nur dem jungen – die Lust am aktuellen Ereignis.

Fußball ist eine faszinierende, begeisternde Sportart, deren mediale Aufbereitung Herz (Begeisterung) und Verstand (Analyse) verlangt - und zwar mit dem Blick auf das aktuelle Geschehen. ARD und ZDF waren bei der EM 2012 weit davon entfernt, sich als Sender zu profilieren, bei denen das Zuschauen Spaß macht. Falsche Aufstellung. Falsche Taktik. Und null Punkte bei den jungen Zuschauern.